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Urbanistik: Galleria Umberto I & Principe di Napoli

Galleria Umberto I

Hafen von Neapel mit Castel Nuovo (linker Bildrand), Galleria Umberto I und dem Teatro San Carlo rechts hinter der Galerie

   

"Es ist gleichgültig, welchem Namen man wo auch immer den Vorzug gibt, ob Galerie oder Galleria Bazar, Durchgang oder Durchhaus, ob Stoa, Colonnade, Corridor oder Arcade - geliebt wird die Passage so und so, wenn sie nur richtig in der Stadt plaziert ist und mit Lust passiert wird, wenn sie also einen von guten Läden gesäumten, architektonisch gewitzten, nach Kräften interessanten, abkürzenden, anziehenden, also einen attraktiven Verbindungsweg darstellt. Ob man sie durcheilt oder darin verweilt, es muß Vergnügen machen" 

(M. Sack, in: W. Lauter: Passagen, S. 132f.)

 

Wie fast jede größere Stadt, hatten nach der Einigung Italiens 1860 auch die Bewohner Neapels den Ehrgeiz ihre Stadt zur führenden des Landes zu machen. Um dieses Ziel verwirklichen zu können war es nötig ein Quartier zu bauen, in dem die Börse die Handelskammer, die großen Banken und die Region um das Mittelmeer, die sogenannte Mediterreanea in enger räumlicher Beziehung vereint werden konnten. Zudem war auch das Stadtgebiet Rione Santa Brigida, das zwischen den Straßen Via Toledo, Santa Brigida, del Municipio und San Carlo zentral gelegene Viertel, vom Programm des Risorgimento betroffen. Dieses sah u.a. die Sanierung partikularer Stadtgebiete vor, die zwecks Überbevölkerung von inakzeptablen Wohn- und Hygieneverhältnissen geprägt waren. Die Planung der Galleria Umberto I, als deutliches Konkurrenzunternehmen zur 25 Jahre früher entstandenen Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand, gliederte sich in diese Pläne hervorragend ein.

Die Galleria Umberto I

Galleria Umberto I

Die Südseite der Galerie und das Teatro San Carlo vom Piazza Trieste e Trento aus gesehen

Nach dem Bau der ersten Einkaufspassage Neapels, der Galleria Principe die Napoli (1876-1883) wurde 1887 mit der Grundsteinlegung für die Galleria Umberto I begonnen. Die Galerie liegt im Zentrum von Neapel, nahe des Hafens, gegenüber des Teatro San Carlo und direkt an der Einkaufsstraße Via Toledo. Sie wird von den Straßen Via Roma, Via S. Brigida, Via Giuseppe Verdi und Via Vittorio Emanuele III eingefasst und nimmt fast den gesamten Block ein. Außerdem umgeben sie die Plätze Piazza del Plebiscito, Piazza Trieste e Trento und Piazza Municipio.

Die Galleria wurde als Einkaufspassage von dem Architekten Emanuele Rocco geplant und zwischen 1887-1890 errichtet. Die Ausstattung entwarfen Ernesto di Mauro und Antonio Curri. Sie nimmt noch heute fast den gesamten Baublock ein, den sie durchschneidet, lehnt sich dabei an die Kirche S. Brigida an und bildet drei eigene Innenhöfe, die diagonal erschlossen sind. Sie besitzt einen kreuzförmigen Grundriss, deren Arme in der Mitte einen oktogonalen Raum bilden. Eine Stahl-Glaskonstruktion überdacht die Arme in Form von Tonnengewölben und das Oktogon mit einer Glaskuppel. Die Portale der vier Eingänge reichen bis zum nächsten Geschoss und schließen ebenfalls mit kassettierten Tonnengewölben ab. Zwei Ausgänge treffen im Süden unter 45° in geschwungener Form auf den ebenfalls geschwungenen Platz vor dem Teatro San Carlo. Nur einer davon führt jedoch in die Passage, der andere dient lediglich der Symmetrie. Das Südportal ist in seiner Dimension und dekorativen Ausstattung als das repräsentative Hauptportal der Gallerie zu betrachten.

Galleria Umberto I

Südportal gegenüber des Teatro San Carlo

Deren Außenfassade ist entlang des Baublocks mit toskanischer Säulenstellung arkadisiert. Das Portal selbst ist durch eine von zwei Säulenreihen getragene Loggia transparent gehalten, dieses Motiv ist der Fassade des Teatro San Carlo entlehnt und bei den übrigen drei Portalen wiederzufinden. In Attikahöhe folgt ein breitgelagertes Feld mit Namen der Passage und einer Figurengruppe als Abschluss. Die äußeren und inneren Fassaden sind gleich hoch und haben die gleiche Ordnung. Im Innern sind allerdings die Pilaster mit Marmor verkleidet und die Felder der oberen Zonen reich dekoriert und bemalt. In den Bogenfledern sind Allegoriern der Musen dagestellt.

Die Portalbögen werden von vier Säulen paarweise flankiert. Auf denen des Blindportals befinden sich Marmorstatuen, die in weiblicher Form die vier Kontinente Europa, Asien, Afrika und Amerika darstellen. Auf den Säulen des eigentlichen Eingangsportal befinden sich vier Marmorstatuen, die die Jahreszeiten Herbst, Winter, Frühling und Sommer (v.l.n.r.) darstellen. Sie symbolisieren den Lauf der Zeit und sind mit den darüber liegenden Nischen verbunden, wo sich links der Genius der Wissenschaft, mit aufgeschlagenem Buch und Erdkugel und die Arbeit mit Amboss und Schmiedehammer befinden. Bei der abschließenden Figurengruppe darüber flankieren Industrie und Handel, dargestellt mit Zahnrad und Anker auf der linken Seite, sowie rechts die Medizin den Äskulapstab haltend, den Reichtum.

Galleria Umberto I

Salone Margherita im Untergeschoss

Das Untergeschoss ist bis zu fünf Meter hoch und gleicht durch seine Treppen die Höhendifferenz innerhalb des Geländes aus. Neben Night clubs, Bars, Billardsäle, Druckerein und Bankenl liegt direkt unter dem Oktogon ein runder Saal (heute Kino), dessen Ränge über rundherum führende eiserne Stege erreicht werden. Glasbausteine, welche als Oberlichter in den Fußboden eingelassen worden dienen als Lichtquelle. Ursprünglich diente der Raum als Theater im Stile der Belle Époque, genannt Salone Margeritha. Mehr als zwanzig Jahre diente er den Neapolitanern als nächtlicher Treffpunkt und zog wichtige nationale Persönlichkeiten wie Matilde Serao, Salvatore Di Giacomo, Gabriele D'Annunzio, Roberto Bracco, Ferdinand Russo, Scarfoglio Eduardo und Francesco Crispi an.

Die Passanten gelangen über einen ornamental gegliederter Marmorfußboden in die zahlreichen Bars, Geschäfte, Cafés und Restaurants. Direkt unter der Glaskuppel befinden sich kreisförmig angeordnete Mosaike, die neben den Tierkreiszeichen auch die vier Winde bzw. Straßen, die die Galerie eingrenzen und deren Richtung anzeigen. Über vier torartige Zugänge in den Diagonalen des Oktogons gelangen Kunden und Bewohner zu den Treppenhäusern der Galerie, welche die weiteren drei Obergeschossen mit einander verbinden und zu Privatschulen, Verlägen, Studios und Wohnungen führen.

Galleria Umberto I

Die Innenfassade gliedert sich streng symmetrisch in 4 Zonen, die jeweils durch ein Gesims voneinander abgesetzt sind. Im Erdgeschoss teilt eine Folge breiter glatter Pilaster die Läden. Das sich darüber befindende Entresol ist durch ein von Reklame genutzten Querbalken ablesbar. Das Hauptgeschoss verwendet das Palladiomotiv, das zweite Obergeschoss zeigt rundbogig geschlossenen Fensterpaare und das oberste Geschoss fast quadratische Fensterpaare, hinter denen sich Wohnungen und Hotelzimmer befinden. Die Fassade ist reich mit Stuckornamenten und - masken dekoriert. In den vier Bogennischen der Portale werden allegorisch die Musen der Musik-und Dichtkunst dargestellt. Desweiteren befinden sich die Büsten der Architekten Emmanuel Rocco und Antonio Curri am Ausgang des Nordportals und am Ausgang des Südportals eine Gedenktafel des Ingeneurs Paolo Boubeé, welcher das Glasdach konstruierte. Im Arm zur Via Verdi befindet sich eine Inschrift, die an das Gasthaus Moriconi erinnert, dass 1787 J.W. von Goethe beherbergte.

Die Arme der Passage sind überwölbt von gläsernen Halbtonnen, welche von bogenförmigen Gitterträgern gehalten werden und deren Unterkonstruktion ein engmaschiges Netz aus Rippen trägt. Das von dem Ingeneur Paolo Boubeé entworfene Glasgewölbe wird von einer sich bis in 56 Meter Höhe erhebenden Glaskuppel gekrönt, deren acht Pendentifs kupferne, vier Posaune blasende und Kronleuchter tragende Engel füllen. Die Bogenfelder sind ebenfalls verglast und weitgehendst frei von dekorativem Beiwerk. Auffällig ist nur der Davidstern, der die vier Halbkreise schmückt. Ein Symbol, das auf die neapolitanische Freimaurerloge des Großen Orients von Italien verweisen soll.

Auf dem Dach befindet sich die Lüftungsanlage und ein kleines Häuschen, das für den Hausmeister bestimmt war. Aus seiner Perspektive war die Dachfläche auch riesige Terrasse, durch deren Halbkreisfenster er auf das Menschengewimmel und seinen Arbeitsplatz blicken konnte.

Die Galleria Vittorio Emanuele II als Vorbild

In der Entwicklung des Bautypus Passage ist die Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II als Höhepunkt zu betrachten, welcher den neuen Typus der Prachtpassage einleitete und direktes Vorbild für Neapel werden sollte. Als politisch-nationaler Bedeutungsträger wird der Bautyp Passage Teil der großen, repräsentativen Bauten des 19. Jahrhunderts, der Theater, Justizpaläste, Rathäuser, Börsen und Parlamentsgebäude in den sich die bürgerliche Gesellschaft manifestiert.

Galleria Vittorio Emanuele II

Galleria Vittorio Emanuele II, Mailand, um 1880

Die Galleria Vittorio Emanuele II ist der Versuch des Architekten Guiseppe Mengoli der Stadt Mailand und der Gesellschaft, die sich eben zur Nation formiert hat, eine neue Mitte zu geben. In der bis dahin fast 80jährigen Geschichte des Bautypus Passage wird hier erstmals ein öffentlicher Wettbewerb ausgeschrieben und die Stadt als Bauherr proklamiert. Mengoli schuf in seinem Entwurf (1862) eine symbolische Figur und in ihr eine Legitimation der neu entstandenen Nation durch Zitate historischer Vorbilder. Als Portal wählt er das römische Triumphtor, die Raumproportionen entsprechen den antiken Thermenräumen und der Durchmesser der Kuppel entspricht exakt die der Peterskirche in Rom:

Galleria Vittorio Emanuele II

Galleria Vittorio Emanuele II, Triumphbogen

  „Ist die nahe Kathedrale der Leib Christi, so ist hier die Passage eine Art Pantheon der bürgerlichen Gesellschaft, geschmückt mit vier Fresken, Wissenschaft, Kunst, Industrie und Ackerbau darstellend, mit 24 Statuen berühmter Italiener und erfüllt von dem Lärm einer sie unablässig durchziehenden Menge“ (J.F. Geist, Passagen, S.102).

Das Projekt avancierte zu einer internationalen Gemeinschaftsarbeit, das sich aus einem britischen Firmenkonsortium, welches den Bau der Passage leitete, einem französischen Ingenieur und Mengoni als italienischen Architekten zusammensetzte. Am 7. März 1865 legte der König Vittorio Emmanuele II den Grundstein in der Mitte vom Oktogon und löste damit eine unmittelbare nationale Wirkung auf andere konkurrierende Städte des schrittweise geeinigten Italiens aus. Zur vollständigen Einigung fehlen derzeit noch das Königreich Neapel, Venetien und Teile des Kirchenstaates. Die selbstständig agierenden Stadtstaaten konkurrieren nach der Ausrufung Victor Emanuels zum König von Italien weiterhin um die wirtschaftliche und politische Führung. Dieser Kampf findet seinen Ausdruck ebenfalls, es Mailand im Bau einer Passage gleichtun zu wollen.

Die Galleria Principe di Napoli

Galleria Principe di Napoli

Galleria Principe di Napoli, Hauptfassade gegenüber des Museo Nationale

Als erste Einkaufspassage in Neapel, wurde die Galleria Principe di Napoli von den Architekten Nicola Breglia und Giovanni De Novellis entworfen und von 1876-1883 gebaut. Die Galerie liegt an der Via Enrico de Passina, der Verlängerung der Hauptgeschäftsstraße Neapels, der Via Toledo. Der Baublock, indem sie sich befindet wird von der Via Santa Maria di Costantinopoli und der Via Broggia, mit der sie einen rechten Winkel bildet, umschlossen. Gegenüber der Hauptfassade befindet sich im Norden das Museo Nationale mit den archäologischen Sammlungen und im Nordosten des Baublocks die katholische Kirche S. Maria di Costantinopoli.

Bis Ende des 17. Jahrhunderts diente das Gelände auf dem sich die Galerie heute befindet als Getreidespeicher der Stadt und wurde ab 1804 mit der Abschaffung des Lebensmittelmonopols als Gefängnis, Lager und Kaserne genutzt. Im Zuge der liberalen Bewegungen ab 1848 wurden verschiedenste Umnutzungskonzepte verhandelt, teilweise umgesetzt, aber aus verschiedenen Gründen auch wieder abgebrochen. Erst 1861, mit der Vereinigung Italiens wurde ein scheinbar alle befriedigendes Projekt von den Architekten Nicola Breglia und Giovanni De Novellis für den Wiederaufbau dieses Gebiets vorgestellt. Trotzdem waren die Bauarbeiten der Galerie nach mehreren Baustops erst 1883 abgeschlossen.

Die Fassade im Inneren kennzeichnet zwei Geschosse sowie eine Attika, die jeweils durch ein Gesims gegliedert werden. Die Ladenportale im Erdgeschoss werden von Pilastern mit ionisch anmutenden Kapitellen geteilt und von waagerechten Volutengiebeln gekrönt. Das zweite Geschoss ist durchzogen mit Fenstern, welche jeweils eine Balustrade besitzen, von Figurennischen flankiert und mit einem Flachgiebel abgeschlossen werden. Darüber befindet sich die brüskierende Attika.Der Zentralraum im Schnittpunkt der Arme ist quadratisch und mit einem pyramidalen Glasdach gedeckt. Durch flache Bögen wird er von den Armen abgesetzt und ein Stockwerk höher gezogen. Jeder Arm der Galerie hat einen Ausgang und wird von einer Glas-Stahl-Konstruktion tonnenförmig überwölbt. Das Mauerwerk des Saales ist in gelben und grauen Tönen gehalten und die Wände mit weißem Stuck kunstvoll verziert.

Wegen mangelnder Pflege und Vernachlässigung stürzte die Nordfassade vorm Museum 1965 ein. Die restliche Bausubstanz war ebenfalls in einem desaströsen Zustand, weswegen die Fehlstelle vorerst nur abgestützt und die heruntergefallenen Steinblöcke weggeräumt wurden. Darauf folgten Vorschläge für eine Neubebauung der Fläche mit Büros und Wohnungen oder einem Museumspark. Die Gewerkschaft der „Freien professionellen Architekten für die Kampagne“ schlug der Stadt jedoch die Restrukturierung der Galerie vor, woraufhin 1969 die Arbeiten begonnen. 2007/8 entschied sich die Stadtverwaltung die komplette Galerie zu restaurieren, jedoch brachte sie nach der Wiedereröffnung 2009 wieder keine Menschen in die Räumlichkeiten. Gegenwärtig ist die Galerie geschlossen und es gibt erneut Überlegungen zur Umstrukturierung.

 

Die Passage als Bautyp des 19. Jahrhunderts

Baugeschichtlich bezeichnet die Passage zunächst nur ein Straßen oder Plätze verbindender Gang, ein Raum mit Anfang und Ende, mit einer Hülle in Form eines Gebäudes. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Passage in Europa zu einem eigenständigen Bautyp vom längsgestreckten Galeriebau zum meist mehrschenklich oder kreuzförmigen Grundriss mit Zentralraum. Zusätzlich wurden sie an beiden Seiten von (Verkaufs-)Räumen in mindestens zwei Geschossen begleitet. Sie ist weiterhin als Vorstufe der Warenhäuser und modernen Einkaufszentren, entstanden aus dem liberalistischen Wirtschaftssystems im 18. Jahrhundert, zu interpretieren. Dieses begünstigte den freien Wettbewerb und die Luxusindustrie, die Händler benötigten Orte, wo sie ihre Waren anbieten konnten - und die Straßen boten sich wegen der Verkehrsverhältnisse dazu kaum an.

 

Paris Pont Neuf

Le Pont Neuf, Paris, um 1700

Die Passage fand als Einkaufsmeile ihren Ursprung in Paris, wo die Straßen in ihrem veralteten Zustand und mit ihrem regen Verkehr es für den Fußgänger immer gefährlicher machten, in ihnen zu verkehren. Bis auf wenige Ausnahmen besaßen sie keine Trottoirs, ein Zustand, welcher gegenläufig zum stets steigendem Bevölkerungswachstum verlief. Mit der in Frankreich ruckartigen Herausbildung der neuen demokratischen Öffentlichkeit in den letzten Jahren des Ancien Régime entstand ein Bedarf an öffentlichem, störungsfreiem Raum. Es kam hinzu, dass durch die Enteignung des innerstädtischen Besitzes von Adel und Klerus gerade im Inneren der neuen Blockbebauung Möglichkeiten für derart lukrative Nutzungen gegeben waren.

 

Passagen

Raumentwicklung vom Bautypus Passagen im 19. Jahhrundert, von links nach rechts:

1. Paris, Passage des Panoramas, 1800 2. London, Royal Opera Arcade, 1816 3. London, Burlington Arcade, 1818 4. Paris, Galerie Vivienne, 1825 5. Paris, Passage du Grand Cerf, 1825 6. Paris, Galerie Colbert, 1826 7. Paris, Galerie d'Orléans, 1829 8. London, Lowther Arcade, 1831 9. Hamburg, Sillem's Bazar, 1845 10. Brüssel, Galerie St. Hubert, 1847 11. Mailand, Galeria Vittorio Emanuele, 1867 12. Manchester, Barton Arcade, 1871 13. Berlin, Kaisergalerie, 1873 14. Den Haag, Passage, 1885 15. Cleveland, Cleveland Arcade, 1890 16. Neapel, Galleria Umberto I., 1891 17. Berlin Friedrichstraßenpassage, 1908

Palais Royal

das Palais Royal mit der Galeries de Bois, Paris, 1828

Palais Royal

Galeries de Bois um 1825

Als Prototyp der Passagen gelten die in den 1780er erbauten Galeries de Bois im Palais Royal. Ein Pariser Stadtpalast der ursprünglich 1627 für den ersten Minister Frankreichs Kardinal Rechelieu gebaut wurde. In den Jahren 1781 bis 1784 wurden rund um den Palastgarten etwa 60 Häuser mit Arkadengängen gebaut, die Wohnungen, Läden, Gastronomiebetriebe und Vergnügungseinrichtungen beherbergten. Als Zentrum des öffentlichen Lebens konzentrierte sich hier das Nachtleben der Hauptstadt, wo sich Angehörige aller Schichten trafen, um zu sehen und gesehen zu werden.

Tagsüber transformierten sich die Arkaden zum Treffpunkt einer aufkommenden Mittelschicht sowie als Epizentrum eines zivilisierten, intellektuellen und philosophischen Europas. Das durch die Französische Revolution neu entwickelt Selbstbewusstsein veranlasste die Bürger*innen, die zuvor von Aristokraten genutzte Galerie nun auch für sich zu beanspruchen. 1789 wurde sie geplündert und zum nationalen Eigentum erklärt. Anschließend verbreitete sich der Bautypus der Einkaufspassage erst in Paris und dann in ganz Europa. 1933 wurden das Glasdach, und die Geschäfte der Galerie d' Orléans, die die Galeries de Bois ersetzten, weitgehendst zerstört.

Palais Royal

Galerie d'Orleans um 1831

 

„Man muss keiner Konfession angehören, um eintreten zu dürfen, kein Billett lösen; die Passage gehört allen, sie ist der monumentale Ausdruck dieser ureigensten Errungenschaft des 19. Jahrhunderts, der Öffentlichkeit, an der alle teilhaben dürfen“ (J.F. Geist, Passagen, S. 249)

Palais Royal

Camillus Desmoulins predigt Aufruhr in dem Palais Royal, 12. Juli 1789

Möglich war der Bau der Passagen außerdem durch die Anfänge der Eisenindustrie im 18 Jahrhundert, die mit der Verbindung von Glas und Stahlrippen weitgespannte Dachkonstruktionen zuließen. Zeittypische Bauten wie Gewächshäuser (Palmenhaus Wien/ Kew Garden London), Bahnhöfe oder Ausstellungsbauten, wie der Crystal Palace in London konnten dadurch realisiert werde. Die Galeries d' Orleans war die erste Passage, die die Materialien Stahl und Glas in Beziehung zur eigentlichen Garten- und Gewächshausarchitektur der gewölbten Lauben und Holzgitter französischer Parks brachte.

Der Typus der Prachtpassage, wie die Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand oder auch der römischen Jugendstilpassage Galleria Alberto Sordi avancierten jedoch zu einem Ort für die gehobenen Schichten. Das Zeitalter der Flaneurs endete und fast schon parallel zum Bau der Galleria Umberto I setzte sich andernorts der natürliche Nachfahr, das große Warenhaus als Bauform durch. Dieses beginnt bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Passage in den Weltstädten Paris und London abzulösen. Die neuen Geschäftsprinzipien lauten nun: schnelle Zirkulation des Kapitals und der Ware, liegengebliebene Ware wird zu reduzierten Preisen angeboten, freie Besichtigung, kein Kaufzwang, Umtauschmöglichkeit, fester Preis sowie die Etikettierung der Ware. Mit der zunehmenden Mobilität der Menschen und der Ware durch die Eisenbahn, der weltweit dirigierte Warenabsatz sowie die Konzentration des Kapitals wurde das Warenhaus für alle sozialen Schichten geöffnet. Im Laufe der Jahre verkümmerten die Passagen als Handelsort, indem sie entweder obsolet oder zu exklusiv wurden.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sie als Umschlagplatz wieder an Bedeutung gewonnen, vielleicht weil sie den sich individualisierenden Bedürfnissen der Konsumenten entgegenkommt (z.B. Calwer Passage Stuttgart oder Altmarkt Gallerie Dresden). Bleibt zu fragen, wie dieser Bautyp für zukünftige kommunikativ urbane Planungskonzepte revitalisiert werden kann, um die Passagen in ihrer ursprünglichen Funktion als Treffpunkt, Flaniermeile, Raststätte, also als Element der Stadtorganisation und als bürgerliches Wohnzimmer wiederzubeleben.

-Martina Remlinger-

Literatur

Geist, J.F.: Passagen. Ein Bautyp des 19. Jahrhunderts, München: Prestel 1979.

Gransow, Thomas / Malm, Wolf-Ullrich: Neapel und die Halbinsel von Sorrent: http://www.thomasgransow.de/Neapel/Stadt/Galleria_Umberto.html, Stuttgart 2001.

Höcker, Christoph: Golf von Neapel und Kampanien. 3000 Jahre Kunst und Kultur im Herzen Süditaliens, Ostfildern 2011.

Koch, Wilfried: Kleine Stilkunde der Baukunst, München 1991.

Pisani, Salvatore/ Siebenmorgen, Katharina: Stadtsanierung und -erweiterung nach der Einheit Italiens, in: S. Pisani, K. Siebenmorgen (Hg.): Neapel. Sechs Jahrhunderte Kulturgeschichte, Berlin 2009.

Reclam (Hg.): Kleines Wörterbuch der Architektur, Stuttgart 2008.

Sack, Manfred: Flanierstraßen unter Glas. Zur Renaissance der Passage, in : ZEIT Nr. 49/1980, URL: https://www.zeit.de/1980/49/flanierstrassen-unter-glas/komplettansicht, Stand: 22.11.2012.

Strohmeyer, Klaus: Warenhäuser. Geschichte Blüte und Untergang im Warenmeer, Berlin 1980.

Warnke, Martin (Hg.) u.a.: Erdteile, in: Handbuch der politischen Ikonographie, Band 1 Abdankung und Huldigung, München 2011.

Urbanistik: Galleria Umberto I & Principe di Napoli