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Urbanistik: Palazzo delle Poste und Piazza Matteotti

Hier sehen Sie einen Überblick über die 5 Gebäude, welche den Piazza Matteotti umgeben. Der Palazzo delle Poste dominiert offensichtichtlich nicht nur das Ensemble auf räumlicher, sondern auch auf gestalterischer Ebene.

Piazza Matteotti 2D Ansicht

Der Piazza Matteotti in 2D-Ansicht zur besseren Visualisierung der Größenverhältnisse

Porträt Giacomo Matteotti<br />

Portät von Giacomo Matteotti vor 1924

Der Piazza Giacomo Matteotti ist sehr zentral im Stadtkern und in der Nähe des Hafens von Neapel situiert. Er fungiert zudem als Knotenpunkt mehrerer Hauptverkehrsadern: der Via Medina, der Via Cesare Battisti, der Via Armando Diaz und dem Corso d´Umberto. Er unterscheidet sich von anderen Plätzen der Stadt durch seine sehr geordnete Struktur und die eigentümliche Monumentalität der Gebäude. Es handelt sich hier um ein architektonisches Ensemble, welches innerhalb der Regierungszeit der Faschisten in Italien errichtet worden ist. Die Wahl des Platzes folgte dabei sowohl strategischen als auch repräsentativen Gesichtspunkten, da er ein neues Wirtschafts- und Verwaltungszentrum bilden, sowie das junge Regime legitimieren und präsentieren sollte.

Unter Benito Mussolini (1838-1945) wurde der Platz als Piazza a Duca d´Aosta geweiht. Nach dem Sturz der faschistischen Regierung im Juli 1944 benannte man ihn nach Giacomo Matteotti (1885-1924) um. Matteotti war Oppositionsführer, Generalsekretär der PSU (Partito Socialista Unitario) und Abgeordneter der PSI (Partito Socialista Italiano). Am 10. Juni 1924 entführten und ermordeten ihn sechs squadristi ('Schwarzhemden', paramilitärisch-faschistische Miliz), die Mussolini unterstanden, nachdem er in diesem Jahr am 30. Mai eine Rede hinsichtlich der Bedrohung durch die Faschisten gehalten hatte. Seine Ermordung bewirkte, wenn auch nur kurzzeitig, einen Verlust von Ansehen und Einfluss des duce, der zwar öffentlich die Verantwortung für die Tat übernahm, aber nie ein eigenes Zutun gestand. Neben Neapel existieren mehrere Plätze, die die Widmung Matteottis tragen, wie beispielsweise in Genua oder Udine. Es handelt sich hier also um eine semantische Aneignung und Umkodierung eines Momunentes, welches die Vormachtstellung des Faschismus repräsentieren sollte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass an den Gebäuden und deren Gestaltung bzw. Ausschmückung keine weiteren Eingriffe vorgenommen worden sind. Auch deren Funktionen sind bis heute weitesgehend gleich geblieben. Wie von den Faschisten geplant, befindet sich hier heute das moderne Verwaltungszentrum der Stadt, rund um den Piazza Matteotti oraganisiert.

San Giovanni Maggiore

Die Kirche San Guiseppe Maggiore vor und während des Abrisses 1934

Der Platz und die umliegenden Bauten wurden in den 30er Jahren des 20.Jahrhunderts angelegt. Die städtebauliche Vorgehensweise der Faschisten basierte auf Ordnung und Vereinnahmung und wurde ohne Rücksicht auf Verluste betrieben. Schonungslos riss man das dicht bebaute Renaissance-Viertel San Giuseppe-Carità planmäßig ab, welches vorher vor allem ein Wohnungsquartier gewesen ist. Dieser Kahlschlagsanierung fielen aber auch einige Kirchen des 16. Jahrhunderts (wie z. B. San Giuseppe Maggiore, um 1500 erbaut, der das Viertel seinen Namen verdankte), Theater und Renaissancepaläste zum Opfer. Die durch einen Teil des Stadtplanes von vor 1934 ergänzte Karte zeigt deutlich, wie stark die Eingriffe in die vorhandenen Strukturen waren. Um die monumentalen Gebäude perfekt inszenieren zu können, wurden freier Raum und breite Straßenzüge geschaffen. Die den Platz umgebenden Gebäude sind allesamt von Architekten errichtet worden, welche sich selbst dem Stil des Rationalismus (Rationalismo) verschrieben hatten. Dieser Stil wurde von Mussolini für die Errichtung von öffentlichen Bauten und Strukturen favorisiert und kann somit als der offizielle Baustil der Faschisten betitelt werden. Dies entspricht durchaus dem Eigeninteresse und den Aussagen der beteiligten Architekten. Er ging in den späten 1920er und 1930er Jahren aus der sogenannten 'Gruppo 7' hervor - eine in Mailand gegründete Gruppierung von jungen Architekten. Kernaspekte waren neben der stark reduzierten, an der Antike und Renaissance orientierten Form auch Monumentalität, Ordnung, Regelmäßigkeit, Funktionalität und die Verwendung neuer Baustoffe (Eisenbeton, Stahl oder Glas). Sie konzentrierten sich auf profane Bauten wie Büros, Bahnhöfe, Flughäfen oder Tankstellen. Das klare Bestreben, Architektur für den Faschismus zu entwerfen, zeigte sich auch in der engen Beziehung der Protagonisten zur Führungsriege der faschistischen Architektengewerkschaft.

Der Palazzo delle Poste im Fokus

Palazzo delle Poste

Hauptfassade des Palazzo delle Poste

Außenarchitektur

Der Grundriss des monumentalen Postgebäudes bildet ein unregelmäßiges Dreieck. Die drei großen Schalterhallen, also die öffentlichen Bereiche für den Publikumsverkehr, liegen im Erdgeschoss jeweils links und rechts vom Haupteingang am Piazza Matteotti und in dem den Innenhof teilenden Querarm. Sie alle fließen in einem Vestibül hinter dem Portal zusammen. Darin befindet sich ebenfalls das vier Etagen übergreifende Treppenhaus zur Erschließung des Gebäudes. Die beiden großen offenen Höfe dienen hauptsächlich der Belichtung und der Belüftung des Baus. Die administrativen Räume wie Burös, eine Bibliothek, eine Küche mit Kantine und ein Zeitschriftensaal sind in den oberen Geschossen untergebracht.

Die Hauptfasse des blockartigen Gebäudes, die sich dem Platz zuwendet, ist im Gegensatz zu den anderen beiden konvex geschwungen. Deren Oberfläche ist glatt und durch zwei verschiedene Materialien charakterisiert, die sich der funktionalen Trennung anpassen: dunkler Diorit aus Bovena im unteren Bereich und heller Marmor aus Valle Strona im oberen Bereich. Darunter verbirgt sich ein Stahlbeton-Skelett. Diese Separierung zeigt sich auch anhand der Durchfensterung. Während die Schalterhallen mit großen, kolonnadenartig unterteilten Glasflächen versehen sind, befinden sich oberhalb sehr einfach gelatene kleine Fenster, von Orthogonalität und Regelmäßigkeit geprägt. Die letzte Etage ist mit einem durchgängigen niedrigen Fensterband versehen, welches von einer Art Attika bekrönt wird.

Neben der Monumentalität, der Orthogonalität und der starken Reduktion der Formen ist vor allem die Symmterie des Palazzo delle Poste auffällig. Den Mittelpunkt nimmt das mächtige rechteckige Portal von 18 Metern Höhe ein. Es entsteht ein Dialog zwischen Innen- und Außenraum des Gebäudes aufgrund der großen Glasfläche, die lediglich von einem Pfeiler zentral akzentuiert wird. Dieser erstreckt sich ebenfalls über die komplette Höhe des Portals, besitzt einen ovalen Querschnitt und ist mit Diorit verkleidet. Hervorgehoben wir die Eingangssituation zusätzlich von einer großen Freitreppe und durch die Abrundung der Fassade hin zu den Seiten der Glasflächen. Anzumerken ist weiterhin der Höhenunterschied von sieben Meter, der ausgegelichen werden musste und sich deutlich an der eben genannten Freitreppe zeigt.

Palazzo delle Poste, Vestibül / Treppenaufgang

Blick in das Vestibül / Treppenhaus mit der Skulptur Vittoria con Bandiere (Dio e Patria) von Arturo Martini (1931)

Palazzo delle Poste, Schalterhalle

Blick in eine der beiden großen Schalterhallen im Erdgeschoss hinter der Hauptfassade

Innenarchitektur

Innen setzt sich das Konzept des äußeren Baukörpers fort: die Symbiose von orthogonal und geschwungen, glatte Oberflächen, Symmetrie und hochwertige Materialien, wie ein Blick in das Vestibül zeigt. Zudem sind hier auch die modernen Baustoffe Stahl und Eisen in den Fugen der Wandverkleidung und anhand der Treppengeländer sichtbar.

Beim Betreten dieses Eingangsbereiches blickt man direkt an der Wand gegenüber auf die Skulptur der Vittoria con Bandiere (Dio e Patri), zu deutsch Viktoria mit Flagge (Gott und Vaterland) von Arturo Martini (1889-1947). Der italienische Bildhauer fertigte diese Skulptur 1932 an. Zum einen symbolisiert sie seinen persönlichen Erfolg, da er auf der Biennale des selbigen Jahres einen eigenen Saal bekommen hatte. Zum anderen gedenkt sie den Gefallenen, die zehn Jahre zuvor beim Marsch auf Rom (1922) ums Leben kamen. Martini genoss Beliebtheit unter Mussolini und wurde mit einigen öffentlichen Aufträgen betraut. Er gehörte der Novecento-Bewegung an, eine 1922 in Mailand gegründete Künstlergruppe, die sich durch einen reduzierten Neoklassizismus und den Einsatz neuer Baustoffe auszeichnete. In diesem Zusammenhang fällt auch oft der Begriff der Traditionalisten. Elemente wie Funktionalität und Eleganz, Monumentalität und Einfachheit beschreiben die Charakteristika der Gruppierung. Das Auftragsmonopol vor und während des faschistischen Regimes lag bei ihnen und erstreckte sich auch in die Provinzen hinein. Ein wichtiger Vertreter, der römische Architekt Marcello Piacentini (1881-1960), galt als erster Staatsarchitekt unter Mussolini. Die Novecentisten prägten de facto am nachhaltigsten die italienische Architekturlandschaft.

Abschließende Bemerkungen

Der Postbau in Italien ist vergleichbar mit der Bedeutung der Autobahnen in nationalsozialistischen Deutschland oder der Metro in der stalinistischen Sowjetunion. Die Gebäude symbolisierten auf monumentale und repräsentative Weise Effizienz, fortschrittliche Verwaltung und moderne Kommunikation. Zudem präsentierte sich das junge Regime im öffentlichen Raum, um sich zu legitimieren und gleichzeitig in den in die zivilen Prozesse einzugreifen. Der Palazzo delle Poste in Neapel nimmt hierbei einen hohen Stellenwert ein, da er das erste moderne Postgebäude im rationalistischen Stil darstellt. Allein der immense Eingriff in das Stadtbild und die von Beginn an festgelegte Hierarchisierung der Gebäude mit dem Postbau an der Spitze, stützt das hohe Wichtigkeit des faschistischen Bauvorhabens. Der Rationalismus bot ideale Voraussetzungen, da er die historisch-nationale Komponenete durch den Bezug auf klassische italienische Formen parallel mit einer formal modernen, reduzierten Umsetzung in der Architektur verband, die sich in einen europäischen Kontext eingliedert.

Rationalismus in Neapel

Die Betrachtung vor Ort hat deutlich zu erkennen gegeben, dass nicht nur der Platz an sich den Rationalismus widerspiegelt. Bewegt man sich in die vom Platz abgehenden Straßen, so sind diese Architekturformen an unzähligen weiteren Gebäuden aufzufinden. Das ganze Viertel ist im Sinne der damalig beabsichtigten Komplettsanierung bis heute stark davon geprägt. Aber auch weitere zentrale Monumente im Stadtbild lassen sich eindeutig diesem Stil zuordnen. Hier sind zum Beispiel auf das große Messegelände "Mostra d´Oltremare" und das zentral gelegene, noch heute strukturell wertvolle Hafengebäude "Stazione Marittima" zu verweisen. Aber auch auf weniger 'prominente' Gebäude, wie Wohnkomplexe und Banken. Immer wieder lassen sich während eines Spazierganges durch die Stadt architektonische Verweise, Monumente, teilweise auch nur einzelne Elemente (wie etwa das Wappen der faschistischen Partei auf einem Gulleydeckel) finden. Dabei fällt auf, dass es keine Hinweisschilder gibt, welche diese 'Zeitzeugen' kritisch einordnen würden. Vielmehr werden die Gebäude nach wie vor in ihrer geplanten Funktion genutzt, die originalen Inschriften blieben erhalten und auch die Insignien der faschistischen Partei sind weiterhin offen sichtbar an der Außenfassade zu betrachten. Die rationalistische Architektur und der Einfluss des faschistischen Regimes fügen sich daher in das Stadtbild und deren Erzählung ein. Sie treten schließlich in einen Dialog zu der Architektur anderer 'Stationen' der neapolitanischen Geschichte. 

 

Faschistische Architektur oder Architektur des Faschismus?

Diese Fragen würden wir gern zur Debatte stellen: 

Wenn der Stil des Rationalismus den Faschisten so ideal erschien um ihre Ideologie zu verbreiten - ist es dann nicht möglich, dass sich diese in die Formensprache eingeschrieben hat? Oder, dass diese Formensprachen gewaltsame Ideologien begünstigt?

Kann eine Architektur "faschistisch" sein? 

Ist es angemessen wie die Stadt Neapel mit diesem 'faschistischen Erbe' umgeht? Ist eine kritische, offizielle Einordnung durch z.B. Hinweistafeln notwendig, um ein reflektiertes Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen? 

Wie wirken diese Gebäude auf Sie? Welche Gefühle erweckt deren Betrachtung bei Ihnen? Hat sich durch die Lektüre Ihr Blick verändert? Hätten sie geahnt, dass es sich hier um Gebäude handelt, welche während des Faschismus erbaut worden sind?

Gehört der Faschismus zur 'Avantgarde'? Ist er ein Teil der Moderne? 

Wir freuen uns auf Ihre Meinungen, Gedanken, Anregungen und Diskussionsansätze! Schreiben Sie uns gern eine E-Mail an:

piazzamatteottinapoli@gmail.com

-Lisa Uhlig und Christin Pietzko

Literatur

  • Beese, Christine: Urbanism and Dictatorship: Perspectives of Art History; in:
    Bodenschatz, Harald / Sassi, Piero / Welch Guerra, Max (Hg.): Urbanism and
    Dictatorship. A European Perspective; in: Neitzke, Peter: Bauwelt Fundamente, 153,
    Basel 2015, S. 36-42.
  • Bodenschatz, Harald/Spiegel, Daniela (Hg.): Städtebau für Mussolini. Auf der
    Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien, Berlin 2011.
  • Neudecker, Edith: Der italienische Postbau während des Faschismus (1922-
    1944), Dissertation Technische Universität München, angenommen 2004.
    Quelle: http://mediatum.ub.tum.de/node?id=601019.
  • Spiegel, Daniela: Urbanism in Fascist Italy: All Well and Good?; in: Bodenschatz,
    Harald / Sassi, Piero / Welch Guerra, Max (Hg.): Urbanism and Dictatorship. A
    European Perspective; in: Neitzke, Peter: Bauwelt Fundamente, 153, Basel 2015, S.
    43-58.
  • Von Falkenhausen, Susanne: Transformation der Moderne ohne Exil: Das
    faschistische Italien; in: Nicolai, Bernd (Hg.): Architektur und Exil: Kulturtransfer und
    architektonische Emigration 1930 bis 1950, Trier 2003, S. 27-36.

Urbanistik: Palazzo delle Poste und Piazza Matteotti