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Urbanistik: Stazione Zoologica

Entstehungsgeschichte 

Der aus einer wohlhabenden Stettiner Familie stammende Anton Dohrn, welcher als Privatdozent der Zoologie in Jena tätig war, kam 1870 nach Neapel, um dort eine Zoologische Station aufzubauen. Mit Hilfe einer Zeichnung des geplanten Gebäudes gelang es ihm nach einiger Zeit, die Behörden davon zu überzeugen, ihm einen Baugrund an einem der schönsten Plätze Neapels kostenlos zur Verfügung zu stellen. Fast zwei Jahre später, im März 1872, begann der Bau der direkt am Meer in der Villa Reale, dem königlichen Park, gelegenen Stazione Zoologica. Anton Dohrn selbst lieferte die erste Idee für die Architektur der Zoologischen Station, wobei er sich auf die außergewöhnliche Fassade der Santa Maria della Sapienza (1625-1630) und somit auf eine lokale Neapler Kirche bezog. Mit dem barocküberladenen, von dem ortsansässigen Architekten Oscarre Capocci angefertigten ersten Fassadenentwurf war Dohrn jedoch unzufrieden, so dass er sich an seinen Freund, den deutschen Bildhauer Adolf von Hildebrand, wandte. Jenem ist die heutige, deutlich schlichtere Fassade zu verdanken, welche sich die florentinische Renaissance zum Vorbild nahm.

Für seine Zoologische Station schwebten Anton Dohrn nicht nur gut eingerichtete Labors zur Meeresforschung, sondern aufgrund seines umfassenden Bildungsideals ebenfalls ein mit Fresken geschmückter Raum vor, welcher zur Musik und zur Erholung gedacht war. Mit diesem Auftrag sollten Hans von Marées sowie Adolf von Hildebrand betraut werden. Konrad Fiedler, der Mäzen der Künstler, übernahm dabei statt dem finanziell schlecht gestellten Auftraggeber Dohrn deren Bezahlung. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit vollendete Marées die Arbeiten anstatt innerhalb von zwei Jahren wie von ihm angesetzt in nur vier Monaten. Anhand etlicher Briefe sowie den Entwürfen und Studien von Marées lässt sich die Entstehung der Fresken gut nachvollziehen. Anregungen und Modelle dafür fanden Hans von Marées und Adolf von Hildebrand bei den Ausflügen, die sie in die Umgebung von Neapel unternahmen. Im Laufe der Zusammenarbeit entstand zwischen den beiden eine einzigartige Symbiose. Letztlich oblag Hildebrand als Bildhauer zwar vordergründig die Idee und Ausführung der plastischen Ausschmückungen sowie der illusionistisch gemalten Architektur, doch war er außerdem hinsichtlich der vorbereitenden Arbeiten von großer Bedeutung für das Projekt. Inwieweit er bei den Fresken selbst mit malte, ist dagegen unklar.

Freskensaal

Jener Saal mit den Fresken liegt in der Mitte des Gebäudes über dem Meeresaquarium. Nach Süden hin öffnen sich eine Tür und zwei Fenster zu einer Loggia, welche wiederum den Blick auf das Meer und die Bucht von Neapel freigibt. An der Nordwand befanden sich ursprünglich ein Brunnen sowie zwei Kamine, zu denen zwei von Hildebrand angefertigte Büsten von Charles Darwin und dem Zoologen Karl Ernst von Baer gehörten. Durch die unglücklichen Dimensionen des Raumes wirkt er sehr schmal, wobei dieser Eindruck durch die geschickte architektonische Gliederung etwas gemindert wird. Über einem hohen gemalten Wandsockel sind die Fresken angebracht, welche von illusionistischer Scheinarchitektur flankiert werden. Zur Aufteilung der Fresken innerhalb des Raumes lässt sich festhalten, dass an den Schmalwänden jeweils ein querformatiges, beinahe quadratisches Fresko angebracht ist, wohingegen das Fresko an der langen Nordwand durch die Pilaster in drei Abschnitte eingeteilt wurde. Dieser Dreigliederung stehen auf der Südseite zwei schmale, hochformatige Fresken gegenüber, welche sich zwischen den Fenstern beziehungsweise der Tür befinden. Nicht zu vergessen bei der Betrachtung des Raumes ist schließlich der Fußboden, welcher zur Gestaltung der Fresken in Beziehung steht. 

Fresken

Die Themen der Fresken sind wie folgt zu beschreiben: an der Westwand sind der Aufbruch der Fischer zur Ausfahrt, an der Nordwand der Blick auf das Meer mit einem Ruderboot, an der Ostwand eine Trattoria mit den unter der Pergola sitzenden Freunden und an der Südwand zwei mit mehreren Figuren belebte Bilder von einem Orangenhain zu sehen. Dabei bilden die Fresken aller vier Wände ein zusammenhängendes Ganzes. Obwohl sie manchmal in das Nachbarbild übergreifen, handelt es sich bei jedem Abschnitt um eine in sich geschlossene Komposition. Als Klammer aller Szenen fungiert hierbei der niedrige Horizont, derselbe Maßstab der Figuren sowie der gemeinsame farbliche Grundton.

Die Zoologische Station in Neapel war das erste Institut seiner Art und somit hatte Hans von Marées keine Vorbilder, auf die er zurückgreifen konnte. Allerdings gab es dennoch einen bestimmten Motivschatz, der ihm zur Verfügung stand. Doch er setzte sich über diese Überlieferung hinweg und wählte stattdessen ganz anschauliche Themen, für die kein Vorwissen notwendig war. Das bedeutet allerdings nicht, dass Marées‘ Fresken ein realistisches Bild darstellen. Marées zeigte den Menschen und die Natur in ihren einfachsten Formen, jedoch so, dass die Wirklichkeit auf die wesentlichen Elemente geläutert und erhöht scheint. Weitere Aspekte, die für ein äußerst ambivalentes und tiefgründiges Bildprogramm sprechen, sind die Tageszeiten-Allegorien sowie die Gegenüberstellung von Männern und Frauen bei der Pergola und den Ruderern in Form von männlicher Tatkraft und weiblicher Kontemplation.  

Ortsbezug der Zoologischen Station zu Neapel

Betrachtet man die Stazione Zoologica hinsichtlich möglicher Ortsbezüge zu Neapel, so zeigt sich dies zuerst in Form der Architektur, welche sich an der Neapler Kirche Santa Maria della Sapienza orientiert. Auch im Inneren der Zoologischen Station finden sich Aspekte, die einen bewussten Ortsbezug aufweisen. Allen voran sind hierbei die Schauplätze zu nennen, an denen die in den Fresken dargestellten Szenen spielen. Allerdings verzichtete Marées bei der Abbildung der Landschaft und der Küste auf alles Genre- und Portraithafte sowie im Detail auf ein Vesuv-Zitat, da es ihm vermutlich zu pittoresk und besonders erschien. Noch tiefergehender als die äußerlichen Bezüge zu den Schauplätzen sind jedoch jene zu den Ausgrabungen in Pompeji. So weisen insbesondere die Ornamentfriese, die Hildebrand ausführte, eine große Ähnlichkeit zu den pompejanischen Dekorationen auf. Auch Marées schuf eine Verbindung zwischen den pompejanischen Formendetails und eigenen Elementen, wodurch hier eine enge Verwandtschaft zu erkennen ist. 

Doch möglicherweise gab es nicht nur Bezüge beziehungsweise Einflüsse von Neapel auf die Stazione Zoologica, sondern vielleicht auch anders herum. Hierfür spricht zumindest das 2006 von Gerhard Merz gestaltete Mosaik Untitled in der U-Bahn-Station Mergellina (siehe auch Metrostationen), welches dieselben Farben verwendet und zudem in Form eines Schriftbands direkt auf Marées verweist.

Kunsthistorische Bedeutung und Vergleich

Die Fresken von Hans von Marées in der Stazione Zoologica sind einzigartig in der Kunstgeschichte, da es de facto keine Vorbilder und auch keine ähnlichen Werke gibt. Gleichzeitig übte Marées mit seinen Fresken jedoch – abgesehen von dem genannten möglichen Zitat von Gerhard Merz‘ Mosaik – auch keinen Einfluss auf andere Künstler aus. Zwar hat die romantische Idee der Monumentalmalerei in Deutschland im 19. Jahrhundert zu einer großen Verbreitung des Freskos an sich geführt, doch stellen die Neapler Fresken einen Höhepunkt dar. Nachfolgend sind einige Werke der Nazarener, der zeitgenössischen französischen Maler, der italienischen Renaissance sowie der Deutsch-Römer als Vergleich gezeigt. Allerdings weisen sie - bis auf ein paar wenige Details als Zitat - letztendlich alle keine große Verwandtschaft zu Marées' Fresken auf.

Fazit

Abschließend ist noch einmal zu betonen, dass Hans von Marées die Fresken in der Stazione Zoologica in äußerst kurzer Zeit schuf und es dabei dennoch schaffte, mit seinem Werk in ambivalenter Weise auf Neapel und die Zoologische Station als Ganzes Bezug zu nehmen. Die große Bedeutung der Neapler Fresken besteht dabei in vielerlei Hinsicht. So nehmen sie einerseits eine Schlüsselrolle im Œuvre von Hans von Marées und andererseits innerhalb der Kunstgeschichte eine einzigartige Stellung ein. Darüber hinaus stellt die Zoologische Station mit ihrem Freskensaal ein bedeutendes Zeugnis der symbiotischen Arbeit zweier Deutsch-Römer dar. Daran schließt auch der Aspekt der Einbettung der Fresken in das Gesamtkunstwerk der Stazione Zoologica an. Dass in diesem Kontext bis heute unklar ist, auf welchen der Protagonisten – Dohrn, Marées oder Hildebrand – welche Ideen zurückgehen und welche Überlegungen letztlich hinter der Gestaltung stecken, macht dabei sicherlich einen Teil der Faszination aus.

- Carina Stegerwald -

Literaturverzeichnis:

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Groeben, Christiane: Der Freskensaal der Stazione Zoologica Anton Dohrn. Biographie eines Kunstwerkes. Neapel 1995.

Groeben, Christiane: Die Zoologische Station Neapel und ihr Freskensaal: eine Lebensgemeinschaft seit 135 Jahren. In: Wesenberg, Angelika; Achenbach, Sigrid: Hans von Marées - Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ausstellung in der Alten Nationalgalerie vom 1. Oktober 2008 bis zum 11. Januar 2009. Berlin 2008, S. 35-45.

Grote, Ludwig: Die Neapler Fresken. Der Kunstbrief. Bd. 32. Berlin 1947.

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Kuhn, Rudolf: Beobachtungen zu Figur und Komposition in der modernen Erneuerung einer antiken Malerei durch Marées. In: Lenz, Christian (Hg.); Boehm, Gottfried: Hans von Marées. Ausstellung vom 11. November 1987 bis zum 21. Februar 1988 in der Neuen Pinakothek München. München 1987, S. 71-86.

Lenz, Christian: Die Fresken von Marées in Neapel. In: Lenz, Christian (Hg.); Boehm, Gottfried: Hans von Marées. Ausstellung vom 11. November 1987 bis zum 21. Februar 1988 in der Neuen Pinakothek München. München 1987, S. 36-64.

Nowald, Karlheinz: „Das ungeheure Drama des Lebendigen“ – Hans von Marées‘ Neapler Fresken. In: Bischoff, Ulrich (Hg.): Romantik und Gegenwart. Festschrift für Jens Christian Jensen zum 60. Geburtstag. Köln 1988.

Wesenberg, Angelika; Achenbach, Sigrid: Hans von Marées - Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ausstellung in der Alten Nationalgalerie vom 1. Oktober 2008 bis zum 11. Januar 2009. Berlin 2008.