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Barock + Moderne: Gesù Nuovo

Gesù Nuovo

Abb. 1: Außenfassade

Baugeschichte

Die Chiesa del Gesù Nuovo war eine der ersten Kirchen Neapels, die in Zusammenhang mit der Gegenreformation entstehen sollte. Die enge Bebauung und die damit einhergehenden Platzmangelprobleme innerhalb der Stadtmauern erlaubten es jedoch nicht, noch mehr zusätzliche Gebäude zu errichten. Der Ort, an dem die heutige Kirche steht, wurde ursprünglich vom 1455-1470 erbauten Renaissance-Palazzo Sanseverino belegt. Die Lage an einer Piazza, welche heute nach der barocken Kirche benannt ist, bot dem Palazzo eine Repräsentationsmöglcihkeit, die in Neapel auf Grund des Städtebaus vergleichsweise selten auftritt, schließlich ist der Frontalblick auf das Gebäude möglich. (1)

Aufgrund politischer und gesellschaftlicher Konflikte in Bezug auf die spanische Inquisition, wurde die Sanseverino-Familie im Jahr 1552 in Exil geschickt und ihr Eigentum konfisziert. 1584 erwarb schließlich der Jesuitenorden den Palazzo. Obwohl ursprünglich ein kompletter Abriss des Gebäudes geplant war, entschied man sich, die Hauptfassade zu behalten, so dass diese etwa 100 Jahre älter ist als der Kirchenbau selbst.

Der Bau des zentralen Pfeiler- und Kuppelbaus begann bereits 1584 unter der Leitung des Architekten und Jesuitenpredigers Giuseppe Valeriano (1542-1595) und wurde 1601 beendet. (2) Aufgrund der Zerstörung der Kuppel durch ein Erdbeben im Jahr 1688 musste die Kuppel jedoch mehrmals erneuert werden, sodass heute eine leichtere Konstruktion als die ursprüngliche vorliegt. (3)

Nach der Vertreibung der Jesuiten aus Neapel 1767 ging die Kirche an die Franziskaner über und trug zeitweise den Namen Trinità Maggiore. (4)

Grundriss

Außenfassade

Die Außenfassade lässt auf den ersten Blick im Inneren zunächst keine barocke Kirche vermuten. (vgl. Abb. 1) Die Renaissance-Fassade besteht aus piperno, einem schwarzen Lava-Gestein aus Neapel. Auffällig ist vor allem die Oberflächenstruktur, die sog. Diamantquaderung (Abb. 3), die charakteristisch für die Bauten jener Zeit ist. (6)

Die drei Portale, die mit jeweils einer Fensteröffnung auf einer Vertikalachse liegen, gliedern die Fassade in drei Teile, wobei der mittlere durch dessen Gestaltung besonders hervorgehoben wird. Von der heutigen Gliederung der Fassade stammt jedoch lediglich die mittlere Eingangsöffnung vom Palazzo Sanseverino. Zudem erinnert eine Marmortafel, mit einer Inschrift mit dem Namen des Architekten, Novello da San Lucano, sowie dem Jahr der Fertigstellung, an den ursprünglichen Bau ("Novellus de Sancto Lucano Architector Egregius Obsequio Magisquam Salario Principi Salernitano Suo Et Domino Et Benefactori Precipuo Has Aedes Editit Anno MCCCCLXX"). (Abb. 4) Erst während des Umbaus zur Kirche wurden die beiden Seitenportale mit den einfachen Rundgiebeln und die drei Fensteröffnungen hinzugefügt, sowie das mittlere Portal mit einem prunkvoll ausgearbeiteten Giebel und jeweils einer Marmorsäule zu beiden Seiten im barocken Stil aufgewertet. (Abb. 5)

Innenraum

Der Innenraum stellt einen hohen Kontrast zur vergleichsweise schlichten Außenfassade dar. Eine Kolossalordnung aus Pilastern aus rotem Marmor mit korinthischen Kapitellen prägen den Wandaufbau. (Abb. 6) Die Vierung wird dabei durch die freistehenden Binnenpfeiler sowie den kolossalen Doppelpilastern hervorgehoben. Ein breites Gebälk trennt die Wandzone vom Gewölbe. Aufgrund der städtebaulichen Situation Neapels ist seitlicher Lichteinfall im unteren Bereich geradezu unmöglich. So wird die Kirche vor allem durch die großen Fenster an den Stirnseiten des Querschiffes und an der Einfangsfront sowie durch die zwölf Rundbogenfenster in der Kuppel erhellt. (Abb. 7)

Der Innenraum zeichnet sich durch eine prunkvolle Ausschmückung aus. Neben den Pilastern im unteren Bereich, den Stuckdekorationen sowie den flächigen Vergoldungen im Gewölbe fällt besonders die malerische Ausstattung in Form der Fresken ins Auge.

Abb. 8: Francesco Solimena: Die Vertreibung des Heliodor, 1725

Das Fresko von Francesco Solimena an der Innenseite der Eingangsfront zeigt Die Vertreibung des Heliodor. (Abb. 8) Im Jahr 1713 wurde der Künstler mit dem Gemälde beauftragt. Obwohl er zu dieser Zeit hohes Ansehen genoss und sich als erfolgreicher Künstler etabliert hatte, gab es dennoch Gegenstimmen, den Auftrag tatsächlich an Solimena zu vergeben. Der Künstler war bekannt für seine sehr hohen Preise sowie für seine Unzuverlässigkeit. Trotzdem entschied man sich bei dem Vorhaben für den neapolitanischen Künstler. Erst 1725, also 12 Jahre später, wurde das Fresko schließlich vollendet. (7)

Die große Bedeutung des Freskos wird schon früh deutlich. Die Kirche mit Solimenas Gemälde wurde bald als eine Hauptsehenswürdigkeit Neapels wahrgenommen, was wohl zum einen am berühmten Künstler lag, zum anderen auch an dem Fresko selbst. Die Darstellung zeigt eine Szene aus dem 2. Buch der Makkabäer. Heliodor, der die Schätze des Jerusalemer Tempels rauben wollte, wird, nachdem ein jüdischer Hohepriester in einem Gebet um Hilfe ruft, von einem gottgesandten Reiter und dessen beiden Begleitern niedergeschlagen und aus dem Tempel vertrieben (2. Makk. 3).

Die besagte Kampfszene wird im Zentrum des Gemäldes dargestellt. Der Reiter auf einem weißen Pferd sowie die beiden jungen Begleiter, die aufgrund der Flügel als Engel ausgemacht werden können, sind im Begriff, Heliodor endgültig zu besiegen. Mit Rohrstöcken schlagen sie auf den Eindringling ein. Dieser hebt, auf der Treppe im Vordergrund liegend, eine Hand, um sich vor den wiederkehrenden Angriffen der drei Verteidiger des Tempels zu schützen. Dieses Hauptgeschehen wird dabei von weiteren Begleitfiguren umgeben. Während einzelne Figuren den Ereignissen vergleichsweise passiv zuschauen, liegen, ähnlich wie Heliodor selbst, einige seiner Gefolgsleute auf den Stufen der Treppe oder stürzen diese hinunter. Währenddessen versuchen andere mit dem Diebesgut zu entkommen. Über der beschriebenen Szene schweben von Wolken umhüllt weitere Engel, welche die Szene auf der Erde beobachten. Es wirkt, als lenken sie das Geschehen, haben sie doch ihren Blick fest auf die vier Personen unter ihnen gerichtet und die Arme tatbereit erhoben. Erst nachdem man das scheinbare Durcheinander im Vordergrund betrachtet hat, entdeckt man den Priester im Mittelgrund auf der rechten Seite des Bildes. Der jüdische Geistliche kniet vor einem Altar und ist noch mitten in sein hilfeforderndes Gebet vertieft.

Trotz der großen Fülle an Figuren und der hohen Dynamik des Gemäldes weist es eine klare Komposition auf. Die Horizontal- und Vertikallinie, vor allem in Form der Treppenstufen sowie der Säulen und Gebäude im Hintergrund, bringen eine gewisse Ruhe und Ausgewogenheit mit sich. Solimena folgt mit der klaren Formensprache des Freskos in gewisser Weise den Prinzipien der nobiltà. (8) Dabei greift der Künstler nicht nur formal darauf zurück, sondern auch durch den dargestellten Inhalt. Das Thema wurde erst durch Raffael, der selbst ein Vertreter der nobiltà war, für die Monumentalmalerei etabliert. Zudem fällt bei Die Vertreibung des Heliodor auf, dass Solimena weitestgehend auf übermäßige Affektdarstellung verzichtet, sodass ein Gegensatz zum durchaus dramatischen Thema entsteht. Heliodor, der laut Bibel dem Tode nah war (2. Makk. 3,31), weist hier weder eine starke Mimik noch eine übermäßige Gestik auf, vielmehr liegt er geradezu elegant auf der Treppe.

Abb. 9: Giovanni Lanfranco: Die Vier Evangelisten, 1635/36

Abb. 12: Massimo Stanzione: Marienzyklus, 1639/40

Den Marienzyklus (Abb. 12) im Tonnengewölbe des Chors schuf Massimo Stanzione (1586-1656) in den Jahren 1639/40. Der 32-teilige Zyklus beginnt bereits mit den beiden Fresken an der Wand des Hauptaltares. Diese zeigen auf der linken Seite des Altares die  Eltern Marias, den Hl. Joachim und die Hl. Anna, sowie auf der rechten Seite die Verkündigung an Joachim. Darauf folgen auf der rechten Seite des Tonnengewölbes Die Geburt der Maria, Der Tempelgang, Die Hochzeit und Mariä Verkündigung, sowie auf der linken Seite Mariä Heimsuchung, Josefs Traum, Der Tod Marias und schließlich ihre Grablegung. Seinen künstlerischen wie inhaltlichen Höhepunkt findet der Zyklus in den zentralen Fresken am Scheitel des Tonnengewölbes. Hier werden Mariä Himmelfahrt sowie Maria vor der Dreifaltigkeit dargestellt. Umrahmt wird jener Zyklus von Darstellungen von Figuren aus dem Alten Testament in den Zwickelfeldern über den Fensteröffnungen, darunter Prophete und Könige. (10)

Zudem ist Stanzione für das Altargemälde Mariä Heimsuchung (Abb. 13) in der zweiten Seitenkapelle auf der rechten Seite verantwortlich. Der Künstler arbeitete bis zu seinem Tod an dem Bild, danach vollendeten seine Schüler das Werk. Das Gemälde ist von der für Stanzione charakteristisch starken Leuchtkraft der Farben Rot und Blau geprägt. (11)

In der gegenüberliegenden Kapelle auf der linken Seite der Kirche befindet sich ein Altargemälde vom neapolitanischen Manieristen Girolamo Imparato (1550-1621). Es stellt die Geburt Christi (Abb. 14) dar. Zwei Marmorfiguren, der Hl. Andreas und Matthäus mit einem Engel, flankieren das Bild. (12)

Die monumentalen Wandaltäre der Stirnwände des Querschiffes entwarf Cosimo Fanzago (1591-1678). Das Mittelbild des linken Altars, welcher dem Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyota, geweiht ist, stammt von Paolo de Matteis (1662-1728) und zeigt Ignatius und Franz Xaver in Verehrung der von Engeln bewachten Madonna (Abb. 15). Der Altar auf der gegenüberliegenden Seite wurde dem eben beschriebenen Altar architektonisch nachempfunden. (13)

Obwohl die Außenfassade von Gesù Nuovo auf den ersten Blick nur bedingt Verbindungen zur Architektur des Barocks vermuten lässt, werden bei genauerer Betrachtung schon hier die Modifikationen der alten Renaissancefassade hin zu einer barocken Bauweise mit entsprechenden Bauelementen deutlich. Der Um- bzw. Neubau vom Palazzo zur Kirche kann dementsprechend bereits anhand der Fassade ausgemacht werden.

Auf Grund der vielfältigen Ausstattung und künstlerischen Ausschmückung des Innenraums durch einflussreiche Künstler, vor allem des Barocks, gewann die Chiesa del Gesù Nuovo schon früh an Bedeutung und avancierte schnell zu einer Hauptattraktion Neapels.

(1) Thoenes, Christof (Hrsg.): Neapel und Umgebung, Stuttgart 1971, S. 138.
(2)
Cantone, Gaetana (Hrsg.): Barocco napoletano, Rom 1992, S. 50.
(3) Thoenes, Christof (Hrsg.): Neapel und Umgebung, S. 139.
(4) Ebenda, S. 137.
(5) Cantone, Gaetana (Hrsg.): Barocco napoletano, Rom 1992, S. 50.
(6) Thoenes, Christof (Hrsg.): Neapel und Umgebung, S. 138.
(7) Hojer, Annette: Malerfürst und Unternehmner. Francesco Solimena als Star auf dem europäischen Kunstmarkt des frühen 18. Jahrhunderts; in: Jeggle, Christof u.a. (Hrsg.): Luxusgegenstände und Kunstwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Produktion – Handel – Formen der Aneignung, Konstanz 2015, S. 297.
(8) Ebenda, S. 298.
(9) Thoenes, Christof (Hrsg.): Neapel und Umgebung, S. 142.
(10) Schütze, Sebastian (Hrsg.): Massimo Stanzione - L'opera completa, Neapel 1992.
(11) Ebenda.
(12) Thoenes, Christof (Hrsg.): Neapel und Umgebung, S. 142.
(13) Ebenda, S. 143.

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Literaturverzeichnis: